Wie entstand die Kaltwalzindustrie?
Die Geschichte des Kaltwalzens geht zurück auf drei Traditionen: zum einen auf die im 16 Jahrhundert in Europa verbreiteten Blechwalz-Kunst, die im 18. Jahrhundert auch Iserlohn und das Lennetal erreichte. Darauf baut vermutlich um 1810 die Drahtwalzerei (Rietziehwalzen) auf. Zum anderen auf die schwedische und englische Drahtwalztechnik (seit 1783), die um 1818 Eschweiler und Elverlingsen erreichte. Die dritte Tradition über die Technik der Puddeleisenwarmwalzwerke wie Walzenherstellung erreichte um 1823 unseren Raum und wirkte im 19. Jahrhundert auch auf die in der Entwicklung begriffene Kaltwalztechnik ein.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die zweite Epoche der Kaltwalzindustrie eingeläutet. In der Damenkleidermode brauchte man für die aufkommenden Reifröcke federharte, leichte Aussteifungen mit stoffschonenden, abgerundeten Kanten, um die glockenförmige und bleibende Rundung zu gewährleisten. Ursprünglich waren die Reifen (Krinolinen) aus Fischbein, das sich aber nicht bewährt hatte. Auch in England geschnittene Streifen aus Eisenblech waren nicht optimal geeignet, da sie zu weich waren und daher leicht knickten. Im Jahr 1861 gelang es einem Hohenlimburger Werk, durch das Auswalzen von Flachdraht auf kaltem Wege ein dünnes flachgewalztes Band herzustellen. So entstanden die ersten Krinolinenstäbe, die den gestellten Anforderungen entsprachen.
Mitte der 1860er Jahre wurden für die Herstellung von Weberblättern (auch Weberkamm oder Riet genannt) in deutschen Webereien Eisenstäbe verwenden, die aus rundem Walzdraht durch Ziehen in flache Stäbchen umgewandelt wurden. Erneut war es ein Hohenlimburger Fabrikant, der begann Rietmaterial durch Kaltwalzen von Runddraht herzustellen. Damit war der erste Versuch, Eisenbänder durch Kaltwalzen zu veredeln, geglückt und die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung war geschaffen.
Bis Mitte der 1880er Jahre wurden Runddraht oder Flachwalzdraht für das Kaltwalzen eingesetzt. Im Jahr 1885 wurden erstmalig breite Eisenbänder auf kaltem Wege aus warmgewalztem Bandeisen hergestellt und damit begann die dritte Epoche des Kaltwalzens.
Warmgewalztes Bandeisen wurde ursprünglich nur zur Herstellung von geschweißten Rohren verwendet. Das Auswalzen von breiterem Warmband auf kaltem Wege war die ausschlaggebende Entwicklung für das Kaltwalzgewerbe, dadurch erschlossen sich weitere Absatzgebiete. Zunächst waren es die Schlossindustrie und die Stanzereien, die kaltgewalzten Bandstahl für ihre Verwendungszwecke abnahmen.
Um die Jahrhundertwende war es die Fahrradindustrie, die an Stelle von Holz und Metall das kaltgewalzte Bandeisen für die Felgenherstellung verwandte. Es war erneut eine Hohenlimburger Firma, die als erste ein brauchbares profiliertes Felgenband hergestellt hatte. Der Rahmen und der Lenker waren aus Rohren, die Schutzbleche und auch die Felgen waren aus Kaltband. Die Fahrradketten wurden auf Kettenlaschenbandstahl hergestellt. Mit Ausnahme der Speichen, die aus Draht hergestellt wurden, waren auch fast alle Zubehörteile wie Beleuchtung, Glocke, Sattel und Pedale auf das Vorprodukt Kaltband angewiesen.
Ein weiteres großes Absatzgebiet entstand durch die Schirme. Durch eine enorme Entwicklungsarbeit der Kaltwalzwerke war es gelungen, Holz, Fischbein und andere Erzeugnisse durch das sogenannte Paragon-Profil zu ersetzten. Auch beim Schirmgestellt gibt es eine Reihe von Teilen wie der Schieber und die Krone (aus Tiefziehbandeisen) sowie die Federn (aus gehärtetem Bandstahl), die aus Kaltband hergestellt wurden.
Natürlich war 1917 das Angebot von Munitions- und Waffenmaterial unvermeidlich. Die staatlichen Gewehrfabriken erkannten die Vorteile des kaltgewalzten Bandes für die Herstellung des 1888 eingeführten Patronenrahmens. Aufträge für „Patronenrahmenstahl“ hatten lange Zeit einen wesentlichen Anteil am festen Lieferumfang der Kaltwalzwerke.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat das Kaltwalzen also zwei entscheidende Neuerungen gebracht: zum einen der Übergang von aus Runddraht kaltgewalztem Flachdraht zur Verarbeitung von warmgewalztem Bandeisen in größeren Breiten und zum anderen die Entwicklung immer besserer Güteeigenschaften der Bänder. Diese Bänder waren damals im Gegensatz zu den Blechen präziser in der Abmessung und bewährten sich durch verfeinerte Eigenschaften des Materials, wie variabler Härte oder Weichheit, verbesserte Stanz- und Ziehfähigkeit und einwandfreier blanker Oberflache. Ein Vorteil gegenüber der Blechverarbeitung war, dass das endlose Band in genaue Breite Fließarbeit und Materialersparnis durch weitgehende Vermeidung von Abfällen bei der Weiterverarbeitung ermöglichte. In den folgenden Jahren stiegen die Zahlen der Kaltwalzwerke bis 1954 auf 118 an.
Mitte des 20. Jahrhunderts begann die Automatisierung des kontinuierlichen Kaltwalzens. Die digitale Technik erlaubt heute die Optimierung auch extrem dünner Walzprofile. Heute werden Kaltwalzprodukte in der Autoindustrie, für die Elektro-, Eisen-, Blech- und Metallverarbeitung sowie für Rohre, Feinmechanik, Kaltprofile, Radio, Fernseher, Elektronik, Informationstechnik, Schneidwaren, Haushalts- und Freizeitgeräte, Spielwaren, Möbel und Münzen verwendet.
Die Technische Entwicklung der Kaltwalzindustrie führte von kleinen handwerklichen Walzen mit wenigen PS Leistung über einen langen Entwicklungsweg zu hochmodernen Walzanlagen mit vielen Hilfs- und Nebeneinrichtungen, automatischen und digitalen Steuerungen und Walzeneinstellungen etc. Auch die Zubehöranalgen wie, Beizerei, Entzunderung, Glüherei, Schneiderei, sind zu großen Betriebseinrichtungen geworden. Der weiteren technischen Forschung sowie der Modernisierung und Rationalisierung der Anlagen wird von den Kaltwalzwerken noch heute größte Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Kaltwalzindustrie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer modernen Zulieferbranche entwickelt. Präzise geometrische und werkstofftechnische Eigenschaften werden in beherrschten Prozessen eingestellt, so dass Zuverlässigkeit und Prozessfähigkeit bei den Kunden höchste Anerkennung findet. Der technologische Stand der Branche und die qualitative Weiterentwicklung des Vormaterials aus modernen Stahlwerken gewährleistet eine hohe Erzeugnisqualität und Reproduzierbarkeit.
Noch heute werden ca. 70 Prozent der deutschen Kaltwalzerzeugnisse im Raum Hohenlimburg hergestellt, wo die Kaltwalzindustrie ihren historischen Ursprung besitzt.